Im Zauberland

Jedes Kleidungsstück hat eine Geschichte. Viele davon sind wohl nicht besonders leicht verdaulich, da dürfen wir ehrlich sein. Ich darf hier eine sehr schöne Geschichte erzählen.

Jedes Kleidungsstück hat eine Geschichte. Viele davon wären wohl nicht besonders leicht verdaulich, da dürfen wir ehrlich sein. Ich darf hier eine sehr schöne Geschichte erzählen.

„Exotische Blumen, Früchte und Gewürze, der die Insel umschliessende grau- bis tiefblaue Pazifik, terrassierte Reisfelder und wilde Vegetation in sämtlichen Grüntönen: Bali überwältigt mit einer schier unglaublichen Farbvielfalt. Die Farbpalette reicht von blassem Blau und Aquamarin über pastelliges Orange, Beige, Grau oder Grün bis zu sinnlich-kräftigem Rot, Violett und Marsala. Für westliche Augen sind die Farbkombinationen teilweise ungewohnt – und trotzdem überraschend harmonisch.“
– ypnosia

Das Zimmer von Ypnosia war für mich das Highlight des letzten Fashionhotels. Ich hing an diesen Kleidern dran wie die Fruchtfliege an der Zitrone. Das sei alles balinesischer Ikat, sagte mir die Herrin des Zimmers und erzählte grosszügig von der Tradition und Herstellung dieser Stoffe. Fasziniert und aufgeregt musste ich mich zwangsläufig irgendwann losreissen. Am nächsten Tag konnte ich nicht anders, als Ypnosia um ein Treffen zu bitten.

Der Ypnosia Showroom im Zürcher Seefeld ist winzig, die Aussicht vom Balkon offen und friedlich. Ein Tischchen, zwei Stühle und eine Umkleidekabine. Der Rest ist Kleider.
Ich wählte meinen Platz schlau, denn ich sass mit dem Rücken zu den meisten von ihnen. Faden für Faden hätte ich verloren, hätte ich die Pracht das ganze Gespräch über vor mir gehabt…

Der Faden wird als Erstes eingefärbt bei einem Ikat Stoff. Nach alter Tradition ausschliesslich von Männern. Das rohweisse Garn wird mehrmals so abgebunden, dass beim weben dann die typischen Ikatmuster entstehen. Ikat heisst daher auch soviel wie abbinden, umwickeln.

Aufgrund der speziellen Fertigung haben die Stoffe unscharfe Farbränder und die Muster verschwimmen sozusagen vor dem Auge. Die meisten der Muster haben bereits eine sehr lange Geschichte und werden von Generation zu Generation weitergegeben. Über zwei Wochen kann die aufwändige Herstellung eines einzelnen Ikat Stoffes dauern und jedes Werk ist danach ein Einzelstück, bereit, vor deinen glänzenden Augen leuchtend zu verschwimmen.

Ein kostbares Souvenir waren die fünf Ikat Stoffe, die sich Fulvia Staub 2014 in den Ferien in Bali gekauft hatte. Keines, das nach den Ferien irgendwo vergessen verstaubt. Ein prächtiges Handwerk, gezeichnet von einem schönen Ort, ein Souvenir, das einfach angesehen werden MUSS. Fulvia wollte sich aus den Stoffen Kleider nähen lassen.
In ihrem kreativem Kopf mussten sich spätestens im Flugzeug die ersten Funken gezündet haben, denn schon auf der Rückreise von Bali nach Zürich entstand die Idee für ein eigenes Label.

Fulvia ist ein Boss. Hat sie eine Idee, will sie umsetzen. Machen statt lange träumen. Sie malt, seit sie mit 9 Jahren ihre erste Staffelei bekommen hat. Immer schon hatte sie eine ausgeprägte kreative Seite und dabei vor allem eine grosse Leidenschaft für Farben.

Und was Fulvia da passiert ist, wundert mich so gar nicht. Die Farben und die Muster, sie fangen einen wie Kunstwerke. Wie in ein Gemälde kann dich so ein Stoff reinziehen, inspirieren oder einfach bloss befriedigen. Hypnotisierend sind sie, sind sie wirklich! Manche scheinen fast erotisch nass, andere leuchten dich zurückhaltend aber betörend selbstbewusst an. Und trotz meines guten Platzes beim Besuch bei Ypnosia, hat’s auch mich ständig wieder reingezogen.

In der kreativen Welt bewegt sich Fulvia nach ihrem eigenen Rhythmus. Bloss einmal habe sie für jemanden nach Auftrag gemalt und es hat ihr nicht so gut gefallen, wie wenn sie ihre eigenen Visionen uneingeschränkt entfalten kann. Sie sei aber auch eine analytische Person, sagt sie. Ihr Studium in Italien war noch humanistischer Natur. Literatur, Kunstgeschichte. Später hat sie aber Ökonomie studiert. Und in der Schweiz dann Volkswirtschaft.
Eine Frau, die mit Vorliebe hübsche Kleider trägt in der männerdominierten Finanzwelt. Guess what, nicht selten wurde sie für die hübsche Assistentin gehalten.
Bis sie halt ihren Mund aufmachte.

„Ja, ich hätte mich auch anpassen können, gedeckte Farben tragen. Ich hätte meine Weiblichkeit verstecken können, aber ich dachte mir, ich bin Ausländerin, ich bin ITALIENERIN, ich passe mich nicht an!“

Fulvia Staub

Boss, sag ich’s doch.
Unterstützt wird die Powerlady von Sidi Staub. Sidi, selbsternannter Assistent der Chefdesignerin, steht fest neben seiner Frau. Er hinterfragt und ergänzt schlau und kümmert sich daneben unter Anderem sauber um die Kommunikation. Ypnosia ist ein Team.

Verblüffenderweise skizziert Fulvia ihre Entwürfe nicht, sie fotografiert die Stoffe und druckt sie auf dem dünnsten noch bedruckbaren Papier aus. Daraus wird dann ein erstaunlich realistisches Miniaturkleid geschnitten. Das Papier verhalte sich dem Stoff sehr ähnlich, bleibt beweglich und gibt der Schneiderin ein realistisches Bild. Die Finanzsprache sei die Sprache, die sie am besten beherrscht, die der Schneiderin musste sie zuerst lernen. Man kann alles lernen, sagt Fulvia. Learning by doing.
So besuchten die beiden in Italien vorab 15 Schneiderinnen, zwei davon wurden ausgewählt. Jede von ihnen durfte dann nach Fulvia’s Vorgaben ein Kleid schneidern.
Das ist das Gewinnerkleid.

Der Ypnosia Prototyp ist leider unverkäuflich.
Schritt für Schritt und in unglaublich kurzer Zeit wurde das Label lanciert.
Machen, statt träumen. Das wiederhol ich gern…

Und ich?
Sabina Hofer

Es war nicht so ganz mein Tag, nein. Nicht so recht meine Woche. Und um ehrlich zu sein, war die ganze erste Jahreshälfte, aber Verzeihung, wo sind wir hier.
Auf jeden Fall hätte ich so gerne. Aber Kleider anprobieren! Ausgerechnet heute…

Probier es mal, sagte sie.

Und dann so halbnackt und dann schauen wieder alle! Aber eigentlich will ich halt schon…

 

“Probier es mal! Dann siehst du.”

Das Kleid schmiegte sich um mich wie eine wohlige Stütze.
Das Anziehen allein, ein Gefühl von Mühelos. Edles Futter aus Kupferseide das kühl den Körper hinaufgleitet und gleitet bis es schliesslich sitzt. Ein Reissverschluss, der mir in meiner Hand wie ein junges Büsi den Rücken hinaufschnurrt. Die seidene Etikette, unspürbar. Mein Gang aus der Kabine, stolz.

Solche Momente sind dann wohl die Erfüllung. Der Moment, in dem eines deiner Kunstwerke zum Leben erwacht. Und mit ihm, die Person darin.

„Schönheit ist Harmonie.“

Fulvia Staub

Ich blühte in meinen schweissigen Söckchen vor mich hin.
Die Kleider, die ich anprobiert habe führten mich, gaben mir Zuversicht, gaben mir Lockerheit. Die Kleider geben den richtigen Widerstand. Den, den ich brauche um mich weiblich, aufrecht und stark zu fühlen. Ein Kleidungsstück, das nicht eifach auf dir sitzen will, sondern eines, das mit dir verschmilzt. Eines, das dir die Power gibt, Dinge zu tun, die du am Morgen vielleicht noch nicht für besonders möglich gehalten hast.
Ja, da habt ihr’s!

In meinen Augen hat die Kollektion schon fast etwas irrwitziges. Und doch hat jedes Kleid seine absolute Berechtigung. Eine fabelhaft gelungene Interpretation der Mode der 50er Jahre mit einem Twist, der seinesgleichen sucht.

Ethnische Stoffe in einem westlichen Kontext, das ist selten. Die Schnitte sind europäisch und die Stoffproduzenten waren erstaunt. Sie erkannten ihren Stoff, aber der Schnitt war total neu in dieser Kombination.

Fulvia Staub

Die Kleider haben etwas phantastisches an sich, beinah wären sie kostümartig und immer wieder muss ich an Dorothy denken oder an Alice. An leuchtendes Kürbisorange. An Zauberer und an Wunderländer. An Ikonen und an eine selbstverständliche Weiblichkeit.
Die Üppigkeit des Ikat-Stoffes und seine wunderbar wahnwitzigen Farbkombinationen geben den klassischen Kreationen nicht nur eine sehr sexy Wendung, er macht sie auch auf eine derart leichtfüssige und neckische Art modern, dass mir ganz anders wird. Die perfekte Balance machts, Fulvia Staub’s Verständnis für Farben, Formen und Textur.

Pro Stoff gibt’s ein Kleid. Das Kleid eben.
Jeder Stoff wird von Fulvia selbst in Bali ausgesucht. Sidi’s sicherlich berechtigter Einwand, dass man in Zukunft ja auch jemanden beauftragen könne, um für sie die Stoffe auszusuchen und zu kaufen, wurde deshalb auch gleich wieder im Keim erstickt. Ich muss dabei sein, sagt Fulvia. Die Inspiration kommt vom Stoff. Es ist ähnlich wie beim Malen, der Prozess entsteht automatisch und dieser kreative Fluss gefällt mir am besten.

Für Fulvia und Sidi muss von Anfang bis Schluss alles stimmen. Nicht nur die Stoffe, die ganze Verarbeitung. Besonders wichtig ist den beiden, dass die Feinverarbeitung von Hand und mit viel Verständnis für Details passiert.
Und wer wie ich Freude an Details hat, willkommen im Schlaraffenland! Das Futter, bei jedem Kleid eine vom Stoff aufgegriffene und lockende Farbe. Der Ledergürtel, handgefertigt von einem der letzten Täschner in Italien, sorgfältig mit schönstem Stoff bezogen und jeden ziert Ypnosia’s Wahrzeichen, eine Frangipani Blüte aus Perlmutt. Ist einem nicht nach Blume, kann man den Gürtel auch einfach mal weglassen oder ihn mit etwas anderem kombinieren. Das sind Kleidungsstücke, die einem schon vor dem Anziehen etwas geben, die beglücken in ihrer Ganzheit. Das sind Kunstwerke.

Die Kleider sind teuer und die Leute müssen verstehen, warum. Die Idee ist, die ganze Wertschöpfungskette zu kontrollieren. Einzig der Rohstoff, also der Faden selbst, sei momentan leider noch eine Black Box, sagt Sidi Staub. Das wird das nächste sein.

Nach klassischen Marketing-Kriterien machen wir hier einen völligen Blödsinn. So macht man’s nicht, sagt Sidi. Jeder Marketing-Profi würde uns sagen; Spinnt ihr eigentlich?

Sidi Staub

Das wird nie eine grosse Produktion, die Stoffe sind begrenzt. Auch wenn es viele Ikatstoffe gibt, auf hundert gefallen ihnen vielleicht zwei. Seiden-Ikat ist zudem noch schwieriger zu finden. Es muss einfach alles stimmen, sagt Fulvia. Lieber weniger Kleider, dafür Qualität. Das ist kein Marketingprodukt, du kreierst etwas, das dir gefällt und das muss seine Zielgruppe selbst finden.

Natürlich möchte ich meine Kleider verkaufen, aber viel lieber bin ich frei.
Ich will Kleider machen wie meine Bilder. Etwas, das aus mir kommt und in erster Linie für mich ist.

Fulvia Staub

Ypnosia braucht Fulvia bei jedem Schritt und es braucht sie voll, schöpferisch.
Der Verkauf findet momentan exklusiv aus dem Atelier statt. Online sind diese Einzelstücke schwierig zu verkaufen. Die Leute müssen zum Kleid. Neuer ist hingegen, dass man sich neben den Prêt-à-Porter Kleidern, nun auch sein eigenes Ypnosiakleid auf den Körper schneidern lassen kann.

Ypnosia ist nicht skalierbar, sagt Sidi. Es kann nur klein bleiben.
Zum Geheimtipp, zum Nischenbrand hin, das ist das Ziel. Und natürlich, dass es irgendwann selbsttragend wird.

Ich würde es ihnen von Herzen gönnen, denn Ypnosia ist grossartige Kunst am Kleid und unbedingt einen Blick wert! Und zwar egal ob als Kundin oder einfach als Fan des schönen Kleides. Selbst hier in Zürich sagt man zu sowas nämlich Haute Couture. Und ich hab so das Gefühl, dass Xpnosia auch unskaliert sehr gross werden könnte.

Der Besuch war uns eine grosse Freude!

ypnosia.com
Holbeinstrasse 31
8008 Zürich-Seefeld

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